Persönlichkeitsentwicklung
7. Oktober 2011

Mit den Augen des anderen sehen

Von
 

Eine Frau hatte seit ihrer Jugend einen langen, erbitterten Konflikt mit ihrem Vater. Sie sehnte sich nach einer Aussöhnung und nach einem Neuanfang ihrer Beziehung zueinander. Darum freute sie sich, dass ihr Vater sie eines Tages zum College fuhr und sie einige Stunden mit ihm allein verbringen würde.

Als sie zusammen im Auto saßen, verhielt ihr Vater sich typisch, indem er ausgiebig über den hässlichen, mit Müll übersäten Bach am Straßenrand nörgelte. Sie dagegen konnte keinerlei Abfälle in dem schönen, ländlichen kleinen Fluss entdecken. So verfielen sie beide in Schweigen und verbrachten den Rest der Fahrt damit, jeglichen Blickkontakt zu vermeiden.

Später unternahm sie dieselbe Fahrt allein und bemerkte mit Erstaunen, dass es zwei Bäche gab – auf jeder Straßenseite einen.

„Diesmal saß ich am Steuer“, sagte sie traurig, „und das Flüsschen, das ich durch das Fenster auf der Fahrerseite sah, war genauso hässlich und voller Müll, wie mein Vater es beschrieben hatte.“

Als sie aber gelernt hatte, mit den Augen ihres Vaters zu sehen, war es zu spät – ihr Vater war tot.

(aus: Der Panama-Hut: oder Was einen guten Therapeuten ausmacht)

 

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