Die Qual der Wahl
Wenn Sie die Wahl hätten – was würden Sie lieber tun?
Mit einem Jetski den Rest Ihres Lebens über die Meeresoberfläche fahren – rundherum um Sie nichts weiter als das Meer. Gehetzt und auf der Suche, nichts zu verpassen, weil es vielleicht an einer anderen Stelle des Meeres besser sein könnte?
Oder den Rest Ihres Lebens anhalten und tauchen – in die Tiefe gehen – und die Korallen betrachten, etwas über die Korallen lernen? Die Korallen und die Lebewesen unter der Oberfläche genau kennen lernen, aber zu dem Preis, dass Sie dort verweilen müssten, um sich genauer damit zu beschäftigen, statt dauernd auf der Oberfläche zu rasen aber nichts wirklich kennen zu lernen?
Der Schlagzeuger Gavin Harrison spricht in diesem Video über die Probleme, die ein Zuviel an Auswahl mit sich bringt.
Wir haben heutzutage so viel Auswahl, dass wir uns nicht mehr entscheiden können. Es ist ein Akt der Courage, sich mal auf etwas einzulassen.
Das zieht sich durch viele Bereiche:
- Partner werden immer häufiger gewechselt, fast schon im Wochentakt, weil der nächste vielleicht besser sein könnte.
- Man kauft sich ein Instrument, z. B. ein Keyboard, und hat so viele Möglichkeiten, dass man als Anfänger komplett erschlagen wird, weil man denkt man müsse das Alles beherrschen können, statt langsam reinwachsen zu dürfen und gibt womöglich entmutigt auf.
- Wenn viele Artikel von anderen Autoren auf einmal veröffentlicht werden, die ich gerne lesen möchte, gerate ich manchmal in Hektik und überfliege sie viel öfter als wenn an einem Tag nur wenige Artikel erscheinen. Ich möchte die Inhalte nicht verpassen, schaffe es aber auch nicht immer, mich ganz darauf einzulassen. Dieser halbgare Ansatz führt aber zu nichts, dann hätte ich es auch gleich sein lassen können.
- Wir haben so viel Auswahl an Ablenkungen durch Telefon, Handy, SMS, E-Mail, Facebook, Twitter (neuerdings ja auch mobil), dass wir uns nicht mehr auf unser Gegenüber konzentrieren. Die Geräte scheinen grundsätzlich mehr Priorität zu haben als das persönlich anwesende Gegenüber, und so werden Gespräche schonmal jäh unterbrochen, weil irgendwas gepiepst hat.
- Ich sollte vor Kurzem am Schlagzeug einen kurzen, vordefinierten Groove spielen und anschließend etwas selbst Improvisiertes einbauen (und das Ganze wieder von vorne). Da fiel mir auf, dass ich so viele Auswahlmöglichkeiten hatte, dass ich nicht mehr wusste, was ich spielen sollte. Kann sein, dass ich einen schwachen Tag hatte, aber der Groove war zu einfach und zu kurz, als dass sich meine Möglichkeiten eingeschränkt hätten, weil Alles dazu gepasst hätte. Hätte nicht Alles dazu gepasst, hätte ich viel eher gewusst, was ich dazu einbaue. In solchen Fällen ermöglicht manchmal die Einschränkung erst die Freiheit.
- Wann machen Einschränkungen frei? Wenn beispielsweise jemand sagt „Schreib mir ein Stück Musik. Egal was. Keine Einschränkungen. Los!“ sind Sie überfragt. Dann haben Sie das Probem des leeren Blattes. Wenn aber jemand sagt „Schreib mir ein Stück Musik mit einer Flöte, einer Säge und diesem kaputten Spielzeugklavier. Du darfst nur die Noten D, E und B benutzen – aber nie alle drei zur gleichen Zeit. Es muss im Dreivierteltakt sein, leise anfangen, erst lauter und am Schluss wieder leise werden!“, dann kann es losgehen.
- Es gibt so viele TV-Kanäle und so viel Zugriff auf Musik, dass wir nur noch durchzappen oder nach wenigen Augenblicken bereits vorspulen, weil so viel Anderes noch auf uns warten könnte, statt uns hinzusetzen und wirklich zuzuhören und uns einer Sache uneingeschränkt zu widmen (und daraus dann viel mehr Nutzen zu ziehen).
Warren Buffett, berühmter Investor und zweitreichster Mensch der Welt, hat einmal gesagt: „Konzentrieren Sie Ihre Investments. Wenn Sie über einen Harem mit vierzig Frauen verfügen, lernen Sie keine richtig kennen.“
Ich denke das trifft nicht nur auf Finanzinvestitionen, sondern auf sämtliche Bereiche des Lebens zu.
Aufmerksamkeit ist die Währung unserer Zeit. Aber wir tun damit nicht nur jemand anderem etwas Gutes, wenn wir ihm unsere Aufmerksamkeit schenken, sondern wir gewinnen auch für uns selbst viel, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf wenige Dinge beschränken und diese richtig kennen lernen.
Alexander Rubenbauer ist Psychologe (M. Sc.) und Psychologischer Psychotherapeut.