Psychologie
1. Oktober 2020

Reform der Psychotherapieausbildung: "Ein besonders herber Schlag"

Von Alexander Rubenbauer, Nürnberg
 

Der BDP sieht mit Blick auf das Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung und die verabschiedete Approbationsordnung weiterhin Optimierungsbedarf. So birgt u. a. die Ausgestaltung der Studiengänge viel Spielraum. Dies lässt offen, inwieweit künftig ausreichend psychologisches Grundlagenwissen vermittelt wird, um auch für psychologische Tätigkeiten zu qualifizieren, die jenseits der Behandlung von psychischen Erkrankungen angesiedelt sind.

Mit der Reihe möchten wir einen Beitrag zur Diskussion über die weitere Entwicklung des Faches Psychologie und die Auswirkungen der Reform der Psychotherapieausbildung leisten. So skizzieren verschiedene Personen ihre jeweils ganz persönliche Sicht auf die Reform und die damit verbundenen Chancen und Risiken.

Zu Wort kommt Alexander Rubenbauer, Vorstandsbeauftragter und PiA-Sprecher im VPP.

Es gibt unterschiedliche Perspektiven, mit denen man auf die Reform der Psychotherapieausbildung blicken kann. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie auf die zukünftigen Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Weiterbildung (PiW) zukommen?

Der größte Vorteil gegenüber der bisherigen Ausbildung ist der geklärte sozialrechtliche Status der künftigen PiW: Bereits mit Abschluss des Studiums sind sie approbiert. Das bedeutet, dass der „Praktikantenstatus“ ohne Anspruch auf Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc. der Vergangenheit angehört, mit dem manche Kliniken den Mindestlohn unterlaufen und Beiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt haben, obwohl sie zu deren Zahlung verpflichtet gewesen wären. Dabei war die „Praktische Tätigkeit“ nie als Praktikum gedacht, sondern als Ausbildungsabschnitt. Berufsorientierende Praktika wurden schließlich bereits im Rahmen des Studiums absolviert. Zudem sind die künftigen PiW aufgrund ihrer Approbation berufsrechtlich der Ärzteschaft gleichgestellt.

Wie bewerten Sie die Reform der Psychotherapieausbildung aus Sicht der derzeitigen Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Ausbildung (PiA)?

Aus Sicht der PiA, die im Rahmen der Übergangsregelung die Ausbildung noch bis 2032 nach altem Recht durchlaufen, besteht der größte Vorteil in der vorgeschriebenen Mindestvergütung in Höhe von 1.000 Euro pro Monat, die von den psychiatrischen Kliniken in der „Praktischen Tätigkeit 1“ ab einer 26-Stunden-Woche geleistet werden muss. Leider wurde die Höhe der Vergütung willkürlich festgelegt und wird nun erwartungsgemäß als Bruttoentgelt interpretiert.

Was viele sich fragen: Woher soll dieses Geld kommen? Manche treibt die Sorge um, dass es in den Kliniken künftig weniger PiA-Stellen geben wird.

Die 1.000 Euro werden den Kliniken von den Krankenkassen refinanziert (§ 3 Abs. 3 Nr. 7 Bundespflegesatzverordnung). Die Sorge, dass sich die Anzahl der sogenannten „PiA-Stellen“ nach der Reform reduziert, sollte deshalb unbegründet sein. Allerdings besteht die Gefahr, dass dieser nach wie vor sehr geringe Betrag durch die gesetzliche Festschreibung legitimiert und damit von bislang besser zahlenden Kliniken als „Richtwert“ fehlinterpretiert werden wird.

1.000 Euro entsprechen bei Weitem nicht der Vergütung, die dem Grundberuf als Psychologin bzw. Psychologe angemessen wäre, obwohl PiA in den Kliniken regelmäßig einen erheblichen Teil der Arbeitsleistung übernehmen. Kliniken dürfen deshalb auch künftig durch PiA erbrachte Leistungen nur dann abrechnen, wenn diese ein entsprechendes Gehalt, also mindestens TVöD E13, beziehen (vgl. OPS-Code 9-649).

Wie verhält es sich in der „Praktischen Tätigkeit 2“?

Für die „Praktische Tätigkeit 2“, die beispielsweise in einer psychosomatischen Einrichtung oder bei einer Psychotherapeutin bzw. einem Psychotherapeuten durchzuführen ist, gab es keinerlei Neuregelungen.

Gibt es Regelungen, die PiA und PiW gleichermaßen betreffen?

Gesetzlich festgeschrieben wurde eine Mindestvergütung in Höhe von 40 % des Honorars, welches von den Krankenkassen für die von PiA bzw. PiW erbrachten Behandlungsleistungen bezahlt wird. Diese Vergütung muss von den Instituten an die PiA bzw. PiW weitergeleitet und dies den Krankenkassen nachgewiesen werden. Angesichts der Tatsache, dass manche Institute sich dagegen sträubten, eine entsprechende Rückvergütung ihrer Ausbildungsgebühren vertraglich zuzusichern, erscheint diese Regelung dringend geboten.

Die 40-%-Regelung genügt jedoch nicht, um eine angemessene Vergütung der PiW sicherzustellen. Gemäß den Heilberufe-Kammergesetzen der Länder sind PiW angemessen zu vergüten. Dazu ist es notwendig, dass sich PiW bei den Verhandlungen gewerkschaftlich engagieren. Der VPP fordert für Psychologinnen und Psychologen bereits seit Langem eine Eingruppierung nach TVöD E 14, was auch für PiW gelten sollte.

Auch für PiA genügt die 40-%-Regelung keineswegs: Da die Behandlungsleistung allein von ihnen erbracht wird, sollte auch die Vergütung allein ihnen zukommen, zumal hiervon Supervision, Selbsterfahrung, Theorie und Lebenshaltungskosten finanziert werden müssen. Hier sollte eine entsprechende Anpassung erfolgen.

Wenn Absolventinnen und Absolventen des neuen Master-Studiengangs mit den Abschlussprüfungen die Approbation erwerben, sind sie berufsrechtlich der Ärzteschaft gleichgestellt. Was aber kann man ohne anschließende Weiterbildung mit dieser Approbation konkret machen?

Wer das Psychotherapiestudium erfolgreich abgeschlossen hat, besitzt eine spezifische Ausbildung in Klinischer Psychologie und kann in unterschiedlichen Bereichen der klinischen Versorgung arbeiten. Wenn es zugleich ein Psychologiestudium ist, bei dem Grundlagenfächer umfangreich vermittelt werden, und die weiteren Anwendungsfächer enthalten sind, stehen den Absolventinnen und Absolventen zudem die vielfältigen Berufsfelder der Psychologie mit ihren Spezialisierungen offen.

Aufgrund der Approbation wird es nach Abschluss des Studiums möglich sein, selbst zahlende Klientinnen und Klienten zu behandeln. Die Abrechnung von Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung im sogenannten „Kostenerstattungsverfahren“ wird weiterhin ohne Kassensitz, aber nur mit Fachkundenachweis nach altem Recht bzw. abgeschlossener Weiterbildung nach neuem Recht möglich sein. Bei den privaten Krankenversicherungen hängt die Kostenübernahme von den individuellen Tarifen ab.

Sie haben erwähnt, dass Kliniken teilweise gar keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet haben und das sogenannte „Psychiatriejahr“ damit für die Rente verloren wäre. Besteht die Möglichkeit, diese Beiträge nachzufordern?

Bis zu einer monatlichen Vergütung in Höhe von 325 Euro müssen die Arbeitgeber im Rahmen der „Praktischen Tätigkeit 1 und 2“ den Gesamtsozialversicherungsbeitrag alleine tragen (§ 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB IV), darüber erfolgt die Zahlung anteilig wie bei regulär angestellten Psychologinnen und Psychologen. Sollten die entsprechenden Einrichtungen diese Beiträge nicht abgeführt haben, was sich der Gehaltsabrechnung entnehmen lässt, sind sie zur Nachzahlung verpflichtet. Die „Praktische Tätigkeit“ ist demnach rentenrelevante Arbeitszeit. Um eine Nachzahlung und damit eine Anrechnung auf dem Rentenkonto zu erreichen, genügt es, eine Nachricht mit dem Namen und der Anschrift des Arbeitgebers sowie der eigenen Sozialversicherungsnummer an die Deutsche Rentenversicherung oder die Krankenversicherung zu senden. Zwischenzeitlich eigenständig geleistete Zahlungen, z. B. zur Krankenversicherung, werden dann zurückerstattet.

Was hat Ihrer Ansicht nach dazu geführt, dass die Reform so lange auf sich warten ließ?

Die Lobby der Psychologinnen und Psychologen sowie der Psychotherapeutinnen und -therapeuten ist nicht sonderlich groß, was durch ihr stark segmentiertes Auftreten noch verschlimmert wird. Meines Erachtens wäre eine stärkere Zusammenarbeit der Verbände nötig. Dass nun ausgerechnet PiA, die sich seit vielen Jahren in ihrer Freizeit intensiv für eine Reform eingesetzt haben, von der Reform weitgehend unberücksichtigt blieben, ist ein besonders herber Schlag.

Berufs- und Fachverbände müssen sich die Frage gefallen lassen, warum insbesondere Verbände, die selbst Institute betreiben, Kooperationen mit Kliniken eingehen, die wenig bis nichts bezahlen. Sie könnten stattdessen eine Art Gewerkschaft für PiA bilden und eine adäquate Vergütung fordern – oder direkt mit ver.di zusammenarbeiten. Die Kliniken würden dann allerdings ihrerseits – sicher nicht zu Unrecht – mit dem Finger auf die Gewinne einiger Institute zeigen.

Nehmen wir an, ein PiA und eine PiW arbeiten in einer Klinik Seite an Seite. Der PiA bekommt ab dem 1. September 2020 1.000 Euro pro Monat für die „Praktische Tätigkeit 1“. Die PiW hingegen soll nach TVöD E 13 oder noch mehr verdienen, weil sie bereits die Approbation hat. Sehen Sie hier ein künftiges Konkurrenzverhältnis zwischen PiA und PiW?

Wenn die Kliniken die Vergütung für die bisherigen PiA bei gleicher Arbeitsleistung nicht ebenfalls nach oben korrigieren, öffnen sie Klagen vor dem Arbeitsgericht Tür und Tor. Spätestens dann wird sich zeigen, dass zwischen PiA, PiW und fest angestellten Psychologinnen und Psychologen in der Praxis regelmäßig kein Unterschied in der geleisteten Arbeit festzustellen ist – von etwaiger Berufserfahrung abgesehen, die jedoch auch manche PiA bereits mitbringen.

Zwischen PiA und PiW sehe ich keine Konkurrenzsituation, aber Potenzial für Frustration auf beiden Seiten: Die Kliniken werden PiA aufgrund der geringeren Vergütung bei der Stellenbesetzung vermutlich bevorzugen, sofern sie das TVöD-Gehalt für PiW selbst erwirtschaften müssen.

Auch die Aufsicht über die Standards der neuen psychotherapeutischen Weiterbildung wird sich nach der Reform ändern. Neu ist, dass nicht mehr die Landesprüfungsämter, sondern primär die Landespsychotherapeutenkammern zuständig sind. Dem Vernehmen nach ist aber noch offen, ob die Landesprüfungsämter an der Abschlussprüfung der Weiterbildung beteiligt sein werden. Wie sehen Sie die neue Rolle der Kammern?

Nach Aussage der Bundespsychotherapeutenkammer werden die Landesprüfungsämter an der künftigen Weiterbildung und ihrer Abschlussprüfung nicht mehr beteiligt sein.

Grundsätzlich begrüße ich, dass sich der Berufsstand in demokratischer Selbstverwaltung selbst reguliert. Dass dies weiterhin auf Länderebene passieren wird, könnte jedoch ein Risiko bergen. Bereits bei den Landesprüfungsämtern war es so, dass Regelungen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten (PsychTh-APrV) unterschiedlich interpretiert wurden: Konnte man das „Psychiatriejahr“ in Bayern auch in acht Monaten abschließen, was einer 40-Stunden-Woche entspricht, musste man in anderen Bundesländern zwölf Monate investieren. Darum hoffe ich, dass die Gremien bei der Erstellung der Musterweiterbildungsordnung so gut vorarbeiten, dass es in den Weiterbildungsordnungen der Landeskammern und bei deren Umsetzung möglichst zu keinen Unterschieden kommen wird.

Alle Betroffenen mit alten Abschlüssen oder diejenigen, die bis zum 31. August 2020 ein Psychologiestudium aufgenommen haben, können im Rahmen der Übergangsregelung bis 2032 – und in Sonderfällen bis 2035 – die Psychotherapieausbildung nach altem Recht abschließen.

Korrekt. Für die künftigen Erstsemester an deutschen Universitäten führt der Weg zur Approbation in Psychotherapie ab dem 1. September 2020 nur noch über das künftige Psychotherapiestudium.

Wird die Anzahl derjenigen, die die Ausbildung nach altem Recht machen, irgendwann so gering werden, dass die verfügbaren Plätze immer weniger werden? Könnte der alte Weg eines Tages, z. B. ab 2028, ganz geschlossen sein? Wie schätzen Sie die Situation der Psychologinnen und Psychologen mit älteren Abschlüssen ein, die sich erst später dazu entscheiden, die Therapieausbildung nach altem Recht zu machen?

Grundsätzlich vorstellbar wäre, dass die Institute bereits vorher keine entsprechenden Ausbildungen mehr anbieten. Da sowohl Institute als auch Kliniken (zumindest durch passive Entlastung) sehr von dieser Ausbildung profitiert haben, ist aber nicht ersichtlich, warum sie diesen Weg versperren sollten. Allein der bürokratische Mehraufwand, Aus- und Weiterbildung parallel anzubieten, würde dies nicht rechtfertigen.

Was raten Sie Studierenden, die in Kürze einen Bachelor-Abschluss in Psychologie nach altem Recht machen? Sollten diese einen Quereinstieg ins neue System wagen, also in den neuen Master in Psychotherapie, oder empfehlen Sie, den Ausbildungsweg nach altem Recht abzuschließen, sprich den alten Master in Psychologie zu absolvieren?

Es erschließt sich nicht, warum die künftige Weiterbildung zwei Jahre länger dauern soll als bisher, obwohl im Grundstudium deutlich mehr klinische Inhalte vermittelt werden sollen. Erfahrungsgemäß hätte man bereits im alten System die Dauer der „Praktischen Tätigkeit“ 1 und 2 auf jeweils 480 Stunden festlegen können, zumal es sich um Mindestzeiten handelt, die – eine entsprechende Wertschätzung durch die Einrichtungen vorausgesetzt – auch freiwillig überschritten werden können. Die eigentliche Ausbildung unter Supervision folgt ohnehin erst später und ist mit 600 Stunden sinnvoll bemessen. Ich würde mich deshalb für das alte System entscheiden.

Zudem ist ein Quereinstieg mit Risiken verbunden, da einige Universitäten den Bachelor-Studiengang mangels Finanzierung noch nicht wie geplant anbieten können. Ebenfalls scheint unklar, welche Übertrittsvarianten es geben wird und ob für Absolvierende an deutschen Unis Nachqualifizierungsmöglichkeiten bestehen, um in den neuen Master zu kommen.

Wie bewerten Sie die Aufnahme der Systemischen Therapie in das Kassensystem seit dem 1. Juli 2020 und damit die Möglichkeit, eine weitere Richtung in der Psychotherapieausbildung einzuschlagen?

Ich bin ein großer Freund der Integration in der Psychotherapie und begrüße darum sehr, dass die Systemische Therapie ins Kassensystem aufgenommen wurde, nachdem es der personenzentrierten Gesprächspsychotherapie aus politischen Gründen verwehrt worden ist. Aus meiner Sicht sollte Integration jedoch verfahrensübergreifend verstanden werden und über die Aufnahme weiterer „Schulen“ mit ihren jeweiligen Abgrenzungstendenzen gegenüber anderen Verfahren deutlich hinausgehen.

Die Musterweiterbildungsordnung, die die Zeit nach dem Master regelt, soll im Mai 2021 beschlossen werden. Lohnt es sich Ihrer Meinung nach noch, diesen Gesetzgebungsprozess zu verfolgen und positiv zu beeinflussen?

Ohne berufspolitisches Engagement können wir die notwendigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen nicht erreichen.

Was möchten Sie jungen Menschen, die sich für den Beruf „Psychotherapie“ interessieren, mit auf den Weg geben?

In der Therapie wird nicht nur ein Einzelner „geheilt“, sondern der Samen für die Heilung der Gesellschaft als Ganzes gelegt. Darum mein Appell: Betrachtet jeden Menschen als Multiplikator der Empathie für sich selbst und andere, aus der individuelles und somit auch kollektives Glück erwachsen kann!

So wie individuelles Glück einen Beitrag zum kollektiven Glück leisten kann, wirkt auch das Kollektiv (z. B. in Form wertschätzender Rahmenbedingungen) positiv auf das Individuum ein. Wenn jeder nur an sich denkt, ist noch lange nicht an alle gedacht: Dann leidet sowohl die eigene Generation als auch jede zukünftige Generation. Deshalb ist es wichtig, sich für positive Rahmenbedingungen einzusetzen!

Erschienen im Report Psychologie, Ausgabe 10/2020, S. 33-35 (PDF). Die Fragen stellte Prof. Dr. Ingo Jungclaussen.

 

Über den Autor
Alexander Rubenbauer ist Psychologe (M. Sc.) und Psychologischer Psychotherapeut. Er bietet Psychotherapie sowohl persönlich in Herrieden bei Ansbach als auch über das Internet an. Er ist per E-Mail erreichbar.

 

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