Psychologie
2. Februar 2013

Wie funktionieren Persönlichkeitsstörungen?

Von Alexander Rubenbauer, Nürnberg
 

Was sind Persönlichkeitsstörungen?

Im Grunde sind wir alle zu unterschiedlichen Graden persönlichkeitsgestört. Wir nennen das aber nicht so, sondern wir sprechen von Persönlichkeitsstilen. Wir haben Eigenarten, Charakterzüge, Macken, Ticks.

Von einer Persönlichkeitsstörung kann man sprechen, wenn diese Eigenarten besonders ausgeprägt, unflexibel und situationsunangemessen sind, sich auf das Denken, Fühlen und Handeln des Betroffenen auswirken und er tatsächlich unter der Persönlichkeitsstörung und den „Kosten“, die sie verursacht, leidet.

Das ist der Fall, wenn das eigene Leben aufgrund der Persönlichkeitsstörung zumindest in bestimmten Bereichen zunehmend eingeschränkt wird; die Störung oder ihre „Kosten“ also wirklich anfangen zu stören.

Ähnlich der Normalverteilung ist das Gros der Menschen bei relativ normaler geistiger Gesundheit. Es gibt demnach nur wenige sehr gestörte und nur wenige sehr gesunde Menschen, wobei die Abweichungen innerhalb der großen Mitte der „normalen“ Menschen auch nochmal sehr deutlich ausfallen.

Es macht im Leben eines jeden Menschen einen großen Unterschied, ob er eher in Richtung gestört tendiert oder in Richtung gesund und wie stark diese Tendenzen ausgeprägt sind.

Fakt ist: Es gibt nicht „gestört oder gesund“.

Welche Persönlichkeitsstörungen gibt es?

Eine kurzer Auszug:

Was die genannten Persönlichkeitsstörungen ausmacht habe ich an dieser Stelle aufgeführt. Eine detailliertere und von mir selbst verfasste Übersicht wird noch folgen.

Wie unterscheiden sich Persönlichkeitsstörungen von anderen psychischen Störungen?

Persönlichkeitsstörungen unterscheiden sich von Angststörungen (inkl. Panikstörungen) oder Zwangsstörungen dadurch, dass das eigene Verhalten, das aus gelernten Überzeugungen resultiert (den so genannten Schemata), als zu sich gehörend angesehen wird (als ich-synton).

Die Symptome und Auswirkungen von Angststörungen und Zwangsstörungen werden dagegen meist als nicht zu sich gehörend angesehen (als ich-dyston) und werden deshalb auch als störend empfunden.

Natürlich kann ein Symptom oder eine Auswirkung einer Persönlichkeitsstörung ebenfalls als störend empfunden werden. Das passiert jedoch meist entweder in Form von Konflikten in Beziehungen oder anderen „Kosten“, die dann stellvertretend als störend empfunden werden.

Und selbst wenn Symptome oder „Kosten“ als störend empfunden werden, so denkt die betroffene Person dennoch, dass sie eben so ist und es deshalb auch gar keinen anderen Zustand geben kann.

Wie funktionieren Persönlichkeitsstörungen?

Persönlichkeitsstörungen zeichnen sich dadurch aus, dass es drei Ebenen gibt: die Motivebene, die Schemata-Ebene und die Spielebene.

Die Motivebene: Die Ebene der wahren Bedürfnisse einer Person

Es gibt eine Motivebene, die jeder Mensch hat. Dort sind interaktionelle Grundbedürfnisse angesiedelt, die man versucht, in seinen Beziehungen zu befriedigen, wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung, Wichtigkeit, Autonomie, der Respektierung eigener Grenzen, etc.

Um diese zwischenmenschlichen Ziele zu erreichen sind bestimmte soziale Kompetenzen nötig, also das Wissen, wie man seine Bedürfnisse in einer bestimmten Situation verbal und non-verbal ausdrücken kann, damit andere die Chance erhalten, diese Bedürfnisse zu erfüllen.

In der Diagnostik geht man übrigens davon aus, dass man von Handlungen einer Person auf ihre Motivebene, also auf ihre Bedürfnisse, schließen kann, sofern die Handlungen authentisch erfolgten.

Die Schemata-Ebene: Die Ebene (falscher) Grundannahmen einer Person

Die Schemata-Ebene enthält Grundannahmen einer Person, die aus ihrer Biografie stammen, also aus den Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens gemacht hat. Besonders bedeutend sind hier die Erfahrungen, die ein Kind in der eigenen Familie gemacht hat.

Man unterscheidet zwischen Selbstschemata und Beziehungsschemata, also zwischen Annahmen über sich selbst und Annahmen über Beziehungen im Allgemeinen.

Solche im Laufe des Lebens durch entsprechende Erfahrungen gelernte Schemata können zum Beispiel sein: „Ich bin einer Versager / wertlos / nicht wichtig“ oder „Man kann jederzeit verlassen werden / Niemand kümmert sich um mich / In Beziehungen wird man nicht respektiert“.

Wenn einem Kind zum Beispiel immer wieder gesagt oder anderweitig vermittelt wird, dass es nicht wichtig ist / stört / unerwünscht war, wird sein Motiv nach Wichtigkeit frustriert.

Frustrierte Motive verstärken sich jedoch und es entsteht ein Dilemma zwischen dem Wunsch, wichtig sein zu wollen, und der Überzeugung, nicht wichtig sein zu können.

Prinzipiell kann man sagen: Je negativer die biografischen Erfahrungen einer Person waren, desto negativer sind die daraufhin gelernten Schemata.

Die Spielebene: Die Ebene manipulativer Strategien einer Person

Da die Person die Erfahrung macht (auch wenn sie falsch ist), als Person nicht wichtig zu sein, aber wichtig sein zu wollen, wird sie versuchen, ihr Motiv nach Wichtigkeit trotzdem irgendwie zu erfüllen. Hier kommt die Spielebene ins Spiel.

An irgendeinem Punkt in ihrem Leben wird die Person die Erfahrung machen, dass bei einem bestimmten Verhalten ihr Motiv befriedigt wird, wenn sie zum Beispiel besonders lustig oder schlau ist.

Daraufhin werden Strategien entwickelt, wie man sich immer wieder in der jeweiligen Art verhält, die entsprechende für die Person positive Reaktionen hervorrufen, um ihre Ziele zu erreichen, obwohl die Interaktionspartner diese Ziele nicht freiwillig befriedigt hätten.

Zum Beispiel: Ein Kind ist einer bestimmten Person nicht wichtig. Diese wird aber durch entwickelte Ängste des Kindes dazu veranlasst, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, die das Kind durch authentisches Verhalten nicht bekommen hätte.

Wenn ein strategisches Verhalten funktioniert, wird es gelernt. Der Haken an der Sache ist: Die Person wird auch weiterhin für manche Leute nicht wichtig sein und kann sie auch nicht zum Gegenteil zwingen.

In der Folge bleibt ihr Motiv nach Wichtigkeit weiterhin frustriert. Zum einen, weil sie weiß, dass sie ihre Ziele anscheinend nur durch manipulatives Verhalten erreichen kann, anstatt dadurch, dass sie einfach sie selbst ist.

Zum anderen verstärken sich frustrierte Motive und werden so wichtig, dass die ebenfalls noch vorhandenen Nebenmotive nicht mehr bewusst wahrgenommen werden. Demnach können sie auch nicht erfüllt werden, was zu einer allgemeinen und schwer zu identifizierenden Unzufriedenheit führt.

Irgendwann wird ihr manipulatives Verhalten durchschaut oder beginnt zumindest, ihre Interaktionspartner zu verärgern oder zu „nerven“. Die daraus entstehenden Konflikte werden aber nicht dem manipulativen Verhalten zugeschrieben, sondern der falschen Überzeugung, dass man eben nicht wichtig ist oder in Beziehungen nicht respektiert wird.

Die dadurch entstehenden selbsterfüllenden Prophezeiungen verstärken das „System“ und machen es nicht mehr wirklich lernfähig.

Wie erreichen Menschen mit Persönlichkeitsstörungen ihre Ziele?

Um ihre Interaktionspartner zu bestimmten Verhaltensweisen zu veranlassen bedient sich persönlichkeitsgestörte Person so genannten „Images“ und „Appellen“.

Die Images sollen Interaktionspartnern ein bestimmtes Bild darüber vermitteln, wie die Person ist, zum Beispiel „schwach und hilflos“.

Durch anschließende Appelle soll der Interaktionspartner dazu gebracht werden, entsprechend zu handeln, also zum Beispiel Verantwortung für die Person zu übernehmen.

Man unterscheidet zwischen positiven und negativen Appellen: Ein positiver Appell soll den Interaktionspartner dazu bringen, etwas zu tun, was den Zielen der Person zuträglich ist. Ein negativer Appell soll ihn dazu bringen, etwas zu unterlassen, was den Zielen der Person abträglich wäre.

Zusammenfassend gesagt …

Persönlichkeitsstörungen werden im Laufe des Lebens eines Betroffenen meist in der Kindheit entwickelt, weil einerseits Überzeugungen über sich selbst oder andere gelernt werden, und andererseits um wichtige Grundbedürfnisse zu erfüllen, die jeder Mensch hat, die jedoch durch authentisches Verhalten nicht erfüllt wurden.

Da seine Bedürfnisse durch authentisches Verhalten nicht erfüllt wurden, entwickelt der Betroffene Strategien, wie er diese Bedürfnisse trotzdem erfüllt bekommt. Dabei bleibt jedoch sein authentisches Verhalten auf der Strecke, weil er beginnt, andere durch speziell entwickelte Verhaltensweisen zu manipulieren.

Da die Bedürfnisse aber nur durch Manipulationen befriedigt werden und nicht durch authentisches Verhalten, bleiben die Bedürfnisse auch in Zukunft bestehen, da die Person glaubt, dass die Bedürfnisse nicht erfüllt worden wären, wenn sie sich authentisch verhalten hätte.

Die Manipulationen führen irgendwann zu „Kosten“, die aber nicht den Manipulationen zugeschrieben werden, weil diese gar nicht mehr als Manipulationen, sondern als Teil der eigenen Persönlichkeit wahrgenommen werden.

Stattdessen werden die „Kosten“ den falschen Überzeugungen über sich selbst oder andere zugeschrieben, was die falschen Überzeugungen und das darauf basierende manipulative Verhalten nur noch verstärkt.


Das hier aus meinem Gedächtnis wiedergegebene Wissen habe ich dem Buch „Persönlichkeitsstörungen verstehen: Zum Umgang mit schwierigen Klienten“ von Rainer Sachse zu verdanken. Falls Sie tiefergehende Informationen wünschen oder sich aus erster Hand informieren wollen, kaufen Sie dieses nette Büchlein. Es richtet sich zwar an Psychotherapeuten, ich fand es aber sehr verständlich geschrieben.

 

Über den Autor
Alexander Rubenbauer ist Psychologe (M. Sc.) und Psychologischer Psychotherapeut. Er bietet Psychotherapie sowohl persönlich in Herrieden bei Ansbach als auch über das Internet an. Er ist per E-Mail erreichbar.

 

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