Persönlichkeitsentwicklung
18. Juni 2014

Angst vor Entscheidungen

Von Alexander Rubenbauer, Nürnberg
 

Vielleicht macht es gar nicht so viel Angst, sich für etwas zu entscheiden. Was Angst macht, ist die Tatsache, dass man sich bei jeder Entscheidung automatisch gegen alle anderen Möglichkeiten, die zur Auswahl stehen, entscheidet.

Dabei ist es ganz egal um welchen Lebensbereich es geht: seien es Beziehungen, der Beruf, der Wohnort, Finanzen, Gesundheit oder Tätigkeiten und Aktivitäten.

Warum haben wir Angst uns zu entscheiden? Weil wir nicht Gott sind, weil wir nicht wissen können, was richtig und falsch ist. Wir können höchstens in uns hineinhören oder -fühlen. Manchmal sagt dann der Bauch, dass das eine richtig wäre, während der Kopf aber so gerne noch an anderen Vorstellungen festhalten würde.

Manchmal glaube ich, dass eine Entscheidung wie eine Weggabelung ist, nicht nur rein praktisch, sondern auch sprirituell. Durch die Entscheidung sagen wir dem Universum, was nun zu erfolgen hat.

Gehen wir links, treffen wir ganz andere Menschen (oder haben andere Umstände) als rechts. Wer sich aber nicht entscheiden kann, der wird keine von beiden treffen und sich ewig fragen, welcher der beiden Wege nun zum besseren Ergebnis führt. Es geht nichts voran. Erst, wer sich gegen die Umstände auf der linken Seite entschieden hat, kann die Umstände auf der rechten Seite kennen lernen.

Hatten Sie bereits einmal das Gefühl, dass Sie sich innerlich für oder gegen etwas entschieden haben, und sich daraufhin die äußeren Umstände geändert haben, ohne dass Sie im Äußeren eingewirkt haben? Und ich beziehe das nicht nur auf die Art zu Denken, die dann unsere Wahrnehmung vom Äußeren auch färbt, sondern ich beziehe mich vor allem auf konkrete Verhaltensweisen von Menschen oder Umstände, die sich plötzlich ändern, oder Chancen, die sich einem eröffnen.

Entscheidet man sich für den Buddhismus und seine Lehren, entscheidet man sich automatisch gegen alle anderen Religionen, gegen den Atheismus und gegen den Agnostizismus. Das fällt dem sekulären, wissenschaftlich orientierten Kopf natürlich schwer, der Religionen im Prinzip ablehnt. Aber warum fühlt sich dann der Bauch damit so wohl? Warum entspannt sich der ganze Körper, wenn er sich mit Buddhismus beschäftigt und fühlt sich angekommen und zu Hause, während der Kopf Religionen eigentlich entschieden ablehnt? Wie entscheidet man sich? Was fürchtet man? Fürchtet man den Spott der Agnostiker, fürchtet man auf etwas hereinzufallen, auf ein leeres Versprechen?

Oder umgekehrt: Warum bleiben Menschen Mitglied in einer Kirche? Aus Angst, nicht in den Himmel zu kommen, oder gar in die Hölle? Weil ihnen erzählt wurde, dass es eine Sünde wäre? Weil sie letztlich Angst haben, Nachteile in Kauf zu nehmen, sollten sie einen Fehler machen und sich falsch entscheiden? Für das falsche? Für den eigenen Glauben, fernab von vermeintlich existierenden Vorschriften, der nicht von Millionen anderen (auf dem Papier) geteilt wird und damit automatisch eine Existenzberechtigung zugesprochen bekommt? Ja sogar eine Art Verifizierung, etwas, das man in der Werbung social proof nennt: so viele Kunden haben das Produkt schon gekauft, die können sich doch gar nicht alle irren. Das ist natürlich beruhigend. Für den Geist. Aber auch für den Bauch?

Und noch andere Komplikationen gehen damit einher: Mit jeder Entscheidung schränkt man sich ein. Insofern ist es mit dem Buddhismus wie mit dem Minimalismus. Man kann nicht gleichzeitig das wohlige Gefühl eines einfachen, aufgeräumten Lebens haben und gleichzeitig einen Berg unnötiger Dinge beibehalten. Und man kann nicht reinen Gewissens Buddhist sein, wenn man ständig und ausschließlich Fleisch isst, gar nicht erst versucht, andere Menschen und ihre Sichtweisen zu verstehen, und möglichst hohen Profiten nachjagt, ganz gleich wie diese zustande kommen.

Oder in Geldfragen: Kaufe ich mir das teure Auto, weil ich das Gefühl habe dass ich damit meine Außendarstellung, letztlich mein Selbstbild, aufwerte, oder fahre ich lieber öfter in einen schönen Urlaub? Was tun, wenn nicht beides geht? Was ist mir wichtiger? Der Kopf (das Ego) oder der Bauch (die Entspannung)?

Auch in Beziehungen: Wer einen bestimmten Typ Mensch in seinem Leben haben will muss sich gegen alle anderen entscheiden. Wie soll sich jemand an eine Person X binden, wenn er es zulässt, dass Person Y ebenfalls in Frage käme, obwohl diese grundverschieden ist? Wird sich Person X auf ihn einlassen, wenn er nicht klar äußert, was er will, weil er es womöglich noch nicht einmal selbst weiß?

Wird jemand in einer Beziehung glücklich, in der er alles mit sich machen lässt, weil er sich nicht gegen eine bestimmte Art, behandelt zu werden, entscheiden kann, aus Angst, etwas Entscheidendes zu verpassen, oder aus Angst, dass nichts Besseres nachkommt und er alleine sein oder bleiben wird? Kann es jemand ertragen, alleine zu bleiben, ohne sich in Ersatzbefriedigungen zu flüchten, die letztlich nicht glücklich machen, aber dafür kurzzeitig ablenken und betäuben?

Anders gefragt: Wie soll ein Platz im Leben eines Menschen (egal was dieser Platz konkret repräsentiert: Umstände, Beziehungen, Situationen, Tätigkeiten, Dinge) mit der “richtigen” Sache besetzt werden, wenn bereits alle anderen Möglichkeiten eine Reservierung auf diesem Platz bekommen haben? Was soll dann ausgewählt werden? Und wer wählt aus? Wer soll auswählen? Der Zufall, die entsprechende Sache selbst, das Universum, Gott, man selbst?

Natürlich kann jeder Austausch auch eine Lernerfahrung mit sich bringen, aber muss man deswegen ständig austauschen, statt endlich anzukommen?

Ich glaube, es ist oft nicht das Universum, das uns vor vollendete Tatsachen stellt, sondern ich glaube dass wir oft bereits das Ergebnis abgesegnet haben. Zumindest der Bauch. Der Kopf segnet das Ergebnis oft nicht ab — aus Angst, vor dem Ergebnis oder wohl häufiger vor dem Weg dahin. Wenn ich diesen Job verliere, wie stehe ich dann da? Werde ich noch genügend finanzielle Sicherheit haben? Wenn ich diese Beziehung beende, wer sagt mir dass es richtig war und ich die Schmerzen aushalte?

Wenn ich an Ort A ziehe, wären an Ort B nicht die besseren Menschen und Möglichkeiten?

Kurz: Wenn ich mich für eine Sache entscheide, wer sagt mir dass die andere nicht besser gewesen wäre?

Niemand?

Und ist es nicht genau diese Unsicherheit, die Angst macht?

Was sagt der Kopf, was sagt der Bauch? Und muss man sich letztlich nicht für eins der beiden entscheiden, und damit gegen das andere? Warum sollte der Kopf “schlechter” sein als der Bauch? Wer sagt mir, dass der Bauch recht hat?

Und ist es nicht genau diese Unsicherheit, die Angst macht?

Kann ich mich trotzdem entscheiden? Oder muss ich es sogar?

Ja oder Nein? Entschieden (sic) oder zumindest vorsichtig tastend vorwärtsgehen? Und wenn: Links oder rechts? Oder doch lieber noch stehenbleiben? Und wenn stehenbleiben: Ist stehenbleiben nicht auch eine Entscheidung — nur eben dagegen, zu gehen? Und wenn diese Entscheidung geklappt hat, warum sollte dann nicht auch eine andere Entscheidung klappen?

 

Über den Autor
Alexander Rubenbauer ist Psychologe (M. Sc.) und Psychologischer Psychotherapeut. Er bietet Psychotherapie sowohl persönlich in Herrieden bei Ansbach als auch über das Internet an. Er ist per E-Mail erreichbar.

 

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