Persönlichkeitsentwicklung
16. September 2012

Seinen Eltern vergeben

Von Alexander Rubenbauer, Nürnberg
 

Es ist wichtig, seinen Eltern zu verzeihen. Manche tun es, nachdem ihnen klar wird, dass sie es nicht mehr aushalten, ihn/sie zu hassen, weil es sie innerlich fertig macht. Dann dient die Vergebung vor allem der Selbstheilung.

Wenn beispielsweise Ihr Vater nicht ganz verstanden hat, wie man Sie zum aufblühen bringt, hatte er wahrscheinlich selbst wenig Chancen, das zu lernen, und hat auch nicht den Umgang erfahren, den er sich gewünscht hätte.

Aber indem Sie daran festhalten und sich bis heute von den vermeintlichen Defiziten Ihres Vaters runterziehen lassen und darauf wütend werden machen Sie nichts besser. Sie sind dann gefangen in Ihrem Groll, und er ist gefangen in Ihren Vorwürfen. Wenn Sie ihn frei geben, geben Sie ihm die Chance, dazu zu lernen und sich neu auf Sie einzulassen, fernab der Vergangenheit.

Vergebung hat nichts mit Religion zu tun. Es ist auch nicht mit Vergessen gleichzusetzen, denn man kann nur etwas vergeben, woran man sich erinnert. Vergebung ist keine Vertuschung der Vergangenheit, sondern eine Investition in die Zukunft.

Indem Sie Ihren Eltern vergeben, können Sie frei sein, und Sie können auch sie freilassen, weil Sie ihnen ihre “Makel” zugestehen. Ihre Eltern haben wahrscheinlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Bestes versucht, so gering es auch ausgefallen sein mag. Vielleicht wollten sie, dass aus Ihnen etwas wird (vielleicht sogar im Gegensatz zu ihnen selbst), und in ihrer Angst, dass aus Ihnen (ebenfalls) “nichts” werden könnte, haben sie es auf eine etwas seltsame Art versucht.

Das kann zum Beispiel durch negative Verstärker passiert sein, indem sie Sie für schlechte Leistungen bestraft, für gute aber nicht gelobt haben. Oder Ihre Eltern sind im Kopf nicht so weit wie Sie und benehmen sich gelegentlich kindisch. Dann ist das nicht zwangsweise Ausdruck mangelnder Liebe sondern vielmehr Ausdruck ihrer Schwäche und kindlichen Verletzbarkeit.

So schade es ist, aber womöglich war das, was als seelische Gewalt bei Ihnen angekommen ist als Ausdruck von Liebe gedacht, weil die Person aus diversen Gründen nicht in der Lage war, auf andere Art mit Ihnen umzugehen (und es womöglich auch heute nicht ist).

Indem Sie vergeben entschuldigen Sie nicht die Taten der (seelischen oder körperlichen) Gewalt, sondern Sie trennen zwischen der Person und ihrem Verhalten. Während das Verhalten völlig inakzeptabel bleiben kann, kann man der Person dennoch vergeben.

Vergebung ist nicht gleichzusetzen mit Versöhnung, aber sie ist eine Voraussetzung, um sich zu versöhnen. Die Versöhnung kann dann nicht gelingen, wenn der Täter sein Unrecht nicht anerkennt oder weil das Opfer ihm nicht begegnen möchte, weil eine Begegnung zu schmerzhaft wäre.

Die Vergebung hat zwei Seiten: Eine kognitive und eine emotionale Seite. Die kognitive Seite ist der Wille oder der Entschluss, der Person zu vergeben, und stellt den eigentlichen Akt der Vergebung dar. Die emotionale Seite ist das Verschwinden der bitteren Gefühle, die viel mehr Zeit in Anspruch nehmen kann und weniger vom Willen des Betroffenen abhängt. Ein Mensch kann also vergeben, bevor sich seine Gefühle beruhigt haben.

Sie können sehr dankbar sein, wenn Sie in der Lage sind, diese Zusammenhänge zu erkennen und sie zu verzeihen, denn Sie schaden in erster Linie sich selbst, und in nächster Linie Ihrer Umgebung und/oder Ihren eigenen Kindern. Opfer machen Opfer. Und indem man sich selbst zum Opfer macht, wird man weitere Opfer machen. Sie tun gut daran, diesen Kreislauf zu beenden und die freigewordene Energie zugunsten Ihrer positiven Entwicklung zu nutzen.

 

Über den Autor
Alexander Rubenbauer ist Psychologe (M. Sc.) und Psychologischer Psychotherapeut. Er bietet Psychotherapie sowohl persönlich in Herrieden bei Ansbach als auch über das Internet an. Er ist per E-Mail erreichbar.

 

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